Am 17. Oktober liefen dieses Jahr außerhalb des Rahmens der Berliner Fashion Week wieder die Kreationen junger Designer über den Laufsteg, auf den „Brettern, die die Welt bedeuten“. Zumindest wurden sie für einen Tag in der STATION-BERLIN am Gleisdreieck ausgebreitet und reflektieren in ihrer kreativen Freiheit, wie sie die Studenten der renommierten Kunsthochschule Berlin-Weißensee abseits wirtschaftlicher Interessen genießen, ein Stück gesellschaftlichen Status Quos – ähnlich einer Theaterbühne. Und um mit Friedrich Schiller weiter zu gehen, hier „sehn wir doch das Große aller Zeiten (…) sinnvoll still an uns vorübergehn. Alles wiederholt sich nur im Leben, ewig jung ist nur die Phantasie. Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein veraltet nie!“



Manche Menschen mögen das nicht so sehen – viel zu oft wird die Bedeutung von Bekleidung oberflächlich auch als etwas Oberflächliches abgetan. Und in der Tat gibt es dringlichere Themen als bloß den Körper zu schmücken… was absurderweise im Frustshopping enden kann. Was wir hier allerdings gezeigt bekommen, ist körperlicher Ausdruck von Sinnlichkeit, von dem was uns umgibt, was uns prägt, was die Modestudenten bewusst oder unbewusst beschäftigt und was sie mittels Farben, Formen und verschiedenen Materialien in neue Verhältnisse setzen. In ihrer Unbefangenheit malen sie dreidimensionale Bilder, sind Bildhauer bewegter Skulpturen, Schöpfer ihrer selbst und Künstler eines modernen Humanismus. Jedenfalls wenn sie besonderes Talent mitbringen und nicht allzu früh nur an der praktischen Funktion von Kleidung interessiert sind. Wäre dem jedoch nicht so, wären sie wahrscheinlich nicht nach tagelangen Aufnahmeprüfungen an der KHB zugelassen worden.




Als Ex-Absolventin der Schule warf ich nun einen etwas objektiveren Blick auf die diesjährige Präsentation und bin angetan von den starken Arbeiten des Nachwuchses. Vielen Outfits haftet eine wohl formulierte, harmonische, laute oder leise Ästhetik an. Besonders spannend empfinde ich, wie sich das ‚Zeitgeist‘-Phänomen und eine für die KHB ‚typische‘ Formsprache facettenreich darstellen.







Die Show ist stellenweise geprägt von weich fallenden Stoffen durch freie Drapierungen wie sie Patrick Rietz mit seinen Studenten erprobt. Sie zeugt zudem von collagenartig zerstückelten oder asymmetrisch verlaufenden Kompositionen wie sie Doreen Schulz und Clara Leskovar vom Label c.neeon während des Arbeitsprozesses aus den Studenten heraus kitzeln oder in einem Styling-Makeover neu zusammen stellen. So überrascht mich nicht, dass sowohl ein Semesterprojekt als auch die gelungene, interkulturell inspirierte Bachelor-Arbeit von Caecilia Pohl im Titel das Wort Collage tragen.
Es sind ebenfalls wunderbare handwerklich verarbeitete Textilien unter den Entwürfen zu finden und einige bildsprachliche Inhalte ausgestellt, wenn Hannah Maria Schmutterer scheinbar Hunderte kleiner gewebter, gestrickter und verzierter Stofflagen aneinader reiht und übereinander türmt oder Cecilie Schou Gronbeck die Abbildung von Schamhaaren mal mehr, mal weniger subtil zu einem grafischen Muster wiederholt.






Von poetischen bis plakativen, von sinnlichen bis sinnvollen Schöpfungen liefert ‚die Weißensee‘ eine inspirierende Bandbreite an kreativer Kleider-Kunst.







Ganz klar werden Gender- und Kleidercodes sowie Techniken verschiedener Kulturen neu kombiniert und innovativ verarbeitet. Einzig die Frage nach der Zukunft der Mode in Hinblick auf den Umgang mit begrenzten Ressourcen und den Bezug von nachhaltigen Materialien bleibt offen und findet meiner Meinung nach zu wenig Beachtung als Teil der Ausbildung an der Hochschule. So schön der offene kreative Raum einerseits zelebriert wird und zur Entwicklung der Designerpersönlichkeiten beiträgt, so beschränkt und abgegrenzt ist er andererseits von der Realität einer zunehmend globalisierten Welt des Handels und übermäßigen Konsums. Schön-schrecklich paradox, wie so vieles im Leben.
Meine Kollegin Natascha von Hirschhausen a.k.a. REA von AETHIC hat in diesem Sinne mit ihrer Master-Kollektion namens ‚reVISION‘ in eigener Sache und auf mehreren Ebenen eine umfassend feinfühlige Arbeit abgeliefert. Sie hat sich intensiv mit Lieferanten, Siegeln und Herstellungsverfahren beschäftigt sowie alle Schnitte auf Basis der Zero Waste Schnittführung hergestellt. Dies soll keine Eigenwerbung sein, sondern möchte ich als Teil der seeFashion Show ebenso in Gegenüberstellung genannt haben.







Fotografie / Credits: Heike Overberg
Für mehr Infos s. www.kh-berlin.de